Warum der Bürohund ein Missverständnis ist
Jessica Pierce, Bioethikerin und Autorin zahlreicher Bücher wie A Dog’s World: Imagining the Lives of Dogs in a World without Humans (mitverfasst von Marc Bekoff), hat im TIME Magazine einen Artikel veröffentlicht, der den Trend der Bürohunde kritisch beleuchtet.
Als Windhund-Trainerin mit der Spezialisierung auf Windhunde fühle ich mich von einigen ihrer Argumente angesprochen, sehe aber auch eine problematische Widersprüchlichkeit in ihrer Argumentation.
Pierce betont die Bedeutung von „sinnvoller Arbeit“ für Hunde und warnt gleichzeitig davor, dass das Dasein als Bürohund ihrem Wohlbefinden schaden kann. Doch der Artikel bleibt halbherzig: Er kritisiert zwar, dass Hunde oft zu emotionalen Stützen degradiert werden, nimmt diese Rolle aber dennoch als gegeben hin. Hier möchte ich mit meiner Erfahrung aus der Arbeit mit Windhunden ansetzen und die Perspektive schärfen.
Sinnvolle Ansätze mit schwammiger Umsetzung
Jessica Pierce hat sich in der Bioethik einen Namen gemacht, indem sie Mensch-Tier-Beziehungen hinterfragt und provokative Szenarien aufstellt – wie ein Leben von Hunden ohne Menschen in A Dog’s World. Auch im TIME-Artikel spricht sie ein wichtiges Thema an: Hunde brauchen Arbeit, die ihnen selbst gehört, und nicht „menschliche“ Rollen, die ihnen aufgedrängt werden.
Doch während Pierce die Bürohund-Problematik benennt, bleibt sie im Vagen. Ihre Aussage, dass Hunde als „emotionale Stütze“ eine anspruchsvolle Rolle spielen, widerspricht der eigentlichen Forderung nach „guter Arbeit“. Denn diese Aufgabe ist weder sinnstiftend noch natürlich für Hunde – sie ist eine Belastung, die oft unter dem Deckmantel von „Spaß“ und „Hundefreundlichkeit“ schöngeredet wird. Ein klarerer Standpunkt wäre hier nötig gewesen.
Gebrauchshunde als Kulturerbe
Als Trainerin, die sich auf Windhunde spezialisiert hat, sehe ich hier den entscheidenden Punkt: Hunde – insbesondere Windhunde – haben Jahrtausende lang spezifische Aufgaben erfüllt. Sie jagten, hetzten, trafen Entscheidungen und agierten eigenständig. Diese Arbeit war nicht nur artgerecht, sondern auch erfüllend. Ein Windhund, der heute ins Büro oder auf das Sofa „verbannt“ wird, mag ruhig wirken, doch das ist oft ein Trugbild. Innerlich fehlt ihm die Möglichkeit, seine Natur auszuleben.
Meine Arbeit basiert auf dem Verständnis, dass Windhunde mehr sind als dekorative Begleiter: Sie sind Kulturerbe. Ihre Bedürfnisse und Instinkte zu ignorieren, bedeutet, ihnen ihre Identität zu nehmen. Ein Windhund, der sein Potenzial entfalten darf, wird nicht nur ausgeglichen, sondern auch zu einem loyalen, entspannten Begleiter – im Büro, zu Hause oder wo immer er sich befindet.
Windhundhaltung ist maximal anspruchsvoll, gerade weil ihre Sensibilität richtig verstanden werden muss.
Die Widersprüche des Bürohunds: Jessica Pierce und die Realität
Pierce fordert im Artikel, dass Hunde „gute Arbeit“ leisten sollen, die ihnen ermöglicht, ihre Fähigkeiten einzusetzen und Erfüllung zu finden. Doch genau hier ist der Bürohund das perfekte Gegenbeispiel: Er sitzt in einer Umgebung, die ihm wenig Entscheidungsfreiheit bietet, und wird auf menschliche Bedürfnisse reduziert. Das widerspricht sowohl Pierces Forderung nach sinnvoller Arbeit als auch dem Wohl des Hundes.
Windhunde als Paradebeispiel für Gebrauchshunde verdeutlichen diesen Widerspruch besonders gut. Sie sind keine „Haustiere light“, die sich in jede menschliche Situation einfügen lassen. Ihr Wesen verlangt nach Raum für ihre Instinkte, sei es in Form von Jagd- und Hetzspielen, geistigen Herausforderungen oder der Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen.
Warum der Windhund in Balance funktioniert
Die Schönheit eines Windhundes zeigt sich in seiner Balance, wenn er seine Bedürfnisse erfüllt sieht. Dieser Windhund ist nicht nur körperlich ruhig, sondern auch mental ausgeglichen. Er „funktioniert“ nicht, weil er muss, sondern weil er in seiner Welt und seiner Rolle Erfüllung findet. Das ist die wahre „hundefreundliche“ Haltung, die ich in meiner Arbeit immer wieder betone.
Jessica Pierce hat recht, wenn sie sagt, dass Hunde „gute Arbeit“ brauchen. Doch dieser Anspruch darf nicht in schwammigen Kompromissen wie „hundefreundlichen Arbeitsplätzen“ untergehen. Windhunde brauchen echte, artgerechte Herausforderungen, die ihnen gehören und nicht nur menschliche Bedürfnisse bedienen.
Fazit: Dein Windhund, Deine Verantwortung!
Jessica Pierce hat mit ihrem Artikel wichtige Fragen aufgeworfen, bleibt aber in der Ausführung inkonsequent. Der Bürohund ist kein Beispiel für „gute Arbeit“ – er ist eine Illusion, die mehr den Menschen dient als den Hunden.
Als Windhund-Trainerin sehe ich es als meine Aufgabe, Hundehaltern zu zeigen, was es bedeutet, einen Gebrauchshund wie den Windhund artgerecht zu fördern. Mein Ziel ist es, ihre Ursprünge als Kulturerbe zu bewahren und sie als das zu respektieren, was sie sind: eigenständige, stolze Wesen, die sinnvolle Aufgaben brauchen. Windhunde verstehen heißt, ihre Verantwortung ernst zu nehmen – und dabei das Leben für beide Seiten bunter, erfüllender und freier zu gestalten.
Windhunde verstehen. Dein Windhund, Deine verantwortung.
“Ein Mensch soll ein Lieblingstier auswählen und es studieren, bis er die Unschuld seines Verhaltens versteht und seine Laute und Bewegungen deuten kann.” – Monika Mosch
In meiner Arbeit als Hundetrainerin spezialisiert auf Windhunde, lebe ich meine Philosophie jeden Tag.